Eigens für „vevon“ haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes „Wanderausstellung für die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus“ der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden in Europa“ und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg diesen Leitfaden entwickelt.
Der Vorstand von „vevon“ dankt herzlich dafür.

Leitfaden Recherche

Die Recherche nach als »Asoziale« oder »Berufsverbrecher« Verfolgten gestaltet sich schwieriger als bei anderen Verfolgtengruppen. Das liegt nicht zuletzt am Jahrzehnte währenden Schweigen der Betroffenen. Nur wenige Selbstzeugnisse von Verfolgten sind bekannt. In vielen Familien wurde die Verfolgung ganz verschwiegen oder mit anderen Verfolgungsgründen erklärt. Dokumente und Fotos wurden bewusst vernichtet. Die Forschung steckt noch in einem frühen Stadium.

Im Rahmen der Erarbeitung der Wanderausstellung haben wir zu mehr als 400 Biografien recherchiert – bei manchen ist es uns gelungen viele Informationen zusammenzutragen, an anderen Stellen sind wir gescheitert.

In diesem Leitfaden sind Rechercheansätze versammelt, die uns häufig weitergebracht haben. Da die Verfolgungswege jedes Einzelnen aber sehr unterschiedlich sein können, soll der Leitfaden vor allem erste Schritte der Recherche aufzeigen und hoffentlich Anstoß zu weiteren individuellen Recherchen geben.

1. Schritt: Vorarbeiten im eigenen Umfeld

Der erste Schritt der Recherche mag banal erscheinen, ist aber wichtig für ein geordnetes Vorgehen: Schreiben Sie auf, was Sie selber schon wissen, und bringen Sie die vorhandenen Informationen in eine logische Ordnung.

Wenn vorhanden, gleichen Sie ihr Wissen mit eventuellen Familienpapieren ab, dazu zählen:

Für die spätere Recherche kann es hilfreich sein, Fotografien und Dokumente näher zu beschreiben. Wichtige Leitfragen sind dabei:

Als nächstes bietet es sich an, das Gespräch mit Angehörigen zu suchen. Was weiß die Familie über die Person? Woran erinnern sich Freund/-innen? Vielleicht gibt es noch weitere Bekannte (Nachbarschaft, Beruf, religiöse Gemeinschaft, Sportverein, o. Ä.), die der/dem Gesuchten persönlich begegnet sind und ein hilfreiches Detail beisteuern können. Haben sich womöglich Fotos und Dokumente erhalten? Auch hier gilt es, die erhaltenen Informationen gut zu dokumentieren und einzuordnen.

Fragen Sie ggf. auch mehrfach bei Angehörigen nach. Details, die den Befragten zunächst völlig unwichtig erscheinen, können für die weitere Recherche gewinnbringend sein. Bedenken Sie aber auch, dass im Laufe der Zeit Erinnerungen verfälscht werden können.

2. Schritt: Eckdaten verifizieren

2.1. Standesamt, staatliche Archive & Kirchenbücher

Um die im privaten Umfeld recherchierten Informationen zu überprüfen und zu ergänzen, ist es sinnvoll einen Auszug aus den Personenstandsregistern, d. h. Geburts-, Heirats- und Sterberegister, beim zuständigen Standesamt oder in einem staatlichen Archiv zu beantragen.

Personenstandsregister, die noch im Standesamt aufbewahrt werden, dürfen aus Datenschutzgründen nur von direkten Verwandten eingesehen werden. Je nach Register erlischt der Datenschutz nach unterschiedlichen Fristen:

Nach Ablauf der jeweiligen Frist müssen die Register öffentlich zugänglich gemacht und dem zuständigen staatlichen oder kommunalen Archiv übergeben.

Im Deutschen Reich begannen die standesamtlichen Aufzeichnungen spätestens ab 1876, teilweise auch schon früher. Wer auf der Suche nach Personenstandsdaten vor 1876 ist, kann auf Kirchenbücher (d. h. Taufbücher, Heiratsbücher und Totenbücher) zurückgreifen. Kirchenbücher befinden sich in der Regel nicht mehr in den zuständigen Pfarrämtern, sondern werden in zentralen Kirchenarchiven aufbewahrt.

2.2. Auslandsstandesamt

Das Standesamt I in Berlin ist zuständig für die Beurkundung von Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen von Deutschen im Ausland.

Es führt u. a. auch Register aus

Das Standesamt I in Berlin gibt die Register nach Ablauf der Sperrfristen alle fünf Jahre ans Landesarchiv Berlin ab. Im Landesarchiv liegen bisher:

Register jüngeren Datums befinden sich noch im Standesamt I.

3. Schritt: Vertiefende Recherche in Archiven

Die so versammelten Informationen bieten wichtige Ansatzpunkte für Ihre weiteren Recherchen in Archiven. Wir gehen in diesem Kapitel auf die wichtigsten Ansatzpunkte ein.

Ob der jeweilige Ansatzpunkt für Ihre Recherche sinnvoll ist, hängt aber von den individuellen Verfolgungswegen ab. Darüber hinaus können natürlich auch kleinere, (regional) spezialisierte Archive, die wir hier nicht aufführen, für Sie lohnende Informationen liefern.

3.1. Historische Meldeunterlagen

In den historischen Melderegistern sind die An- und Abmeldungen beim Meldeamt verzeichnet. Oft werden auf den Meldekarten auch Orte vermerkt, an denen die Personen zuvor gewohnt haben bzw. wohin sie verzogen sind. Teilweise kann von den Einträgen auch auf Aufenthalte in Krankenhäusern, Gefängnissen, Lagern o. Ä. geschlossen werden.

Historische Meldeunterlagen werden – unterschiedlich je nach Bundesland – im zuständigen Kommunal-, Landes- oder Staatsarchiv verwahrt.

3.2. Adressbücher, Telefonverzeichnisse, Branchenbücher

Falls für die gesuchte Person keine (aufschlussreiche) Meldekarte vorhanden ist, lohnt sich ein Blick in historische Adressbücher und Telefonverzeichnisse. Meist ist in diesen Verzeichnissen allerdings nur der Haushaltsvorstand aufgeführt. Selbstständige können zudem in Branchenbüchern verzeichnet sein.

Adress- bzw. Telefonverzeichnisse sowie Branchenbücher sind in Kommunalarchiven und teilweise auch in Bibliotheken zu finden. Eine (unvollständige) Liste mit online-einsehbaren Adressbüchern hat der Verein für Computergenealogie in seinem GenWiki zusammengestellt.

3.3. Regionale Zeitungen

Regionale Zeitungen aus der betreffenden Zeit können ebenfalls hilfreiche Informationen liefern. Selbst wenn die gesuchte Person nicht erwähnt wird, finden sich vielleicht Informationen zum Wohnviertel, zum Arbeitgeber o. Ä., die Rückschlüsse auf den Alltag und Lebensumstände ziehen lassen.

3.4. Vorgänge in Ämtern

An der Verfolgung von »Asozialen« und »Berufsverbrechern« waren verschiedene Ämter beteiligt: Häufig führten Fürsorgeamt/Wohlfahrtsamt, Jugendamt, Arbeitsamt und Gesundheitsamt Akten über die Betroffenen. Da die Ämter sich untereinander austauschten, tauchen in den Akten eines Amts oft auch Abschriften oder Zusammenfassungen von Dokumenten aus anderen Ämtern auf und geben Hinweise auf mögliche weitere Akten.

Akten aus den verschiedenen Ämtern werden meistens in Kommunalarchiven, teils auch in Staatsarchiven, verwahrt.

3.5. Erbgesundheitsakten

Erbgesundheitsgerichte wurden ab 1934 eigens bei den Amtsgerichten eingerichtet, um über Zwangssterilisierungen zu entscheiden. Die Anträge für Erbgesundheitsverfahren konnten von (pflegenden) Angehörigen, Vormunden, Ärzten oder den Leitern von Strafanstalten sowie Heil- und Pflegeanstalten gestellt werden. In den Akten des Erbgesundheitsgerichts finden sich zudem auch Hinweise auf Ämter, die Akten über die betroffene Person führen.

Die Akten der Erbgesundheitsgerichte werden zur Aufbewahrung an Staatsarchive und Kommunalarchive abgegeben.

3.6. Kriminalpolizei und Justiz

Die treibende Kraft bei der Verfolgung von »Asozialen« und »Berufsverbrechern« waren häufig die regionalen Kriminalpolizeileitstellen, die einen regen Austausch mit Ämtern, Haftorten und dem Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) pflegten. Daher finden sich in den Kripo-Akten meist Verweise auf an der Verfolgung beteiligte Ämter. Auch erkennungsdienstliche Fotos, Auszüge aus dem Vorstrafenregister und Abschriften von Gerichtsurteilen sind in den Kripo-Akten meistens vorhanden. Leider ist die Überlieferung der Akten durch Kriegsschäden und gezielte Vernichtung sehr lückenhaft. Gut erhaltene Bestände, wie die der Kripo Köln und der Kripo Duisburg, bilden eine Ausnahme.

Historische Akten der Kriminalpolizei sind in Landes- und Staatsarchiven recherchierbar. Dort lassen sich auch Akten der Justiz finden. In den überlieferten Beständen der Staatsanwaltschaften und der Gerichte sind manchmal umfangreiche Informationen auf die Verfolgten enthalten – selbstverständlich aus Sicht der Kriminalpolizei.

3.7. Unterlagen zu Inhaftierungen und Zwangsunterbringungen

Ein guter Ausgangspunkt für die Suche nach Unterlagen zu Inhaftierungen in KZs und anderen Lagern sind die Arolsen Archives, in deren Online-Archiv die digitalisierten Dokumente zum größten Teil sofort einsehbar sind. Wenn die Suche im Online-Archiv zu keinem passenden Treffer führt, lohnt sich trotzdem eine Anfrage ans Archiv, da (noch) nicht alle Bestände online zugänglich sind. Für eine leichtere Orientierung in der Vielfalt der Dokumente bieten die Arolsen Archives einen hilfreichen e-Guide.

Für vertiefende Informationen zu Inhaftierungen in Konzentrationslagern oder zu Zwangs­unterbringungen in Tötungsanstalten, Heil- und Pflegeanstalten oder Arbeitshäusern ist es ratsam, Kontakt zu Archiven in den jeweiligen Gedenkstätten zu suchen. Zwar haben sich nicht überall die kompletten Karteien und Akten der Inhaftierten erhalten, aber die Gedenkstätten können zumindest einordnende Informationen zum Aufenthalt in den Lagern oder Anstalten bieten. Über das Gedenkstättenportal lässt sich ein Überblick über die Einrichtungen verschaffen. Einzelne Einrichtungen ermöglichen es, in Gedenk- und Sterbebüchern online nach Personen zu suchen. In den Datenbanken wie Memorial Archives oder Auschwitz prisoners fassen Angaben aus unterschiedlichen Quellen zu Konzentrationslagern zusammen.

Teilweise werden Akten aus Tötungsanstalten, Heil- und Pflegeanstalten und Arbeitshäusern auch in staatlichen Archiven verwahrt.

3.8. Entschädigungsämter

Als »Asoziale« oder »Berufsverbrecher« Verfolgte hatten im Rahmen des Bundesentschädigungs­gesetzes von 1953 bzw. 1956 keinen Anspruch auf Wiedergutmachung. Anträge auf Anerkennung als »politisch oder rassisch Verfolgte« wurden nur vereinzelt bei den Entschädigungsämtern gestellt. Deshalb sind Anträge dieser Verfolgten oder ihrer Hinterbliebenen seltene Fundstücke. Gleichzeitig sind sie aber eine der wenigen Quellen, in der die Verfolgung auch aus Perspektive der Verfolgten erzählt wird.

Da Entschädigungs- bzw. Wiedergutmachungsanträge auch von Hinterbliebenen gestellt werden konnten, sollte sicherheitshalber auch nach Akten für die nächsten Angehörigen (Eltern, Partner/-innen, Kinder) der verfolgten Person gesucht werden.

Die Akten werden in Kommunal- und Staatsarchiven aufbewahrt. Im Themenportal »Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts«, einem Projekt des Archivportals Deutschland, werden Bestände der staatlichen Archive, perspektivisch auch der kommunalen Archive, zusammengetragen.

3.9. Entnazifizierungsakten / Spruchkammerakten

Entnazifizierungsakten, manchmal auch als Spruchkammerakten bezeichnet, bieten im besten Fall eine kurze Zusammenfassung von Lebensumständen sowie wichtigen Ereignissen der im Entnazifizierungs­verfahren überprüften Person während der NS-Zeit.

Die Verfahren fanden in der Regel am Wohnort der überprüften Person statt. Daher ist es wichtig den Wohnort der Person zwischen 1945 und ungefähr 1951 zu kennen.

Entnazifizierungsakten aus der britischen Besatzungszone liegen im Bundesarchiv Koblenz. Akten aus der amerikanischen, französischen und sowjetischen Besatzungszone werden in den Staatsarchiven der jeweiligen Bundesländer verwahrt.

3.10. weitere Rechercheansätze

Die folgenden Hinweise auf weitere Recherchemöglichkeiten sind aus unserer Erfahrung zwar nur in geringem Maße ertragreich, aber dennoch einen Versuch wert. Die Beispiele sind vor allem aber auch als Anregung zu verstehen, die Recherche über die klassischen Archive hinaus zu erweitern.

Gefängnisse und Zuchthäuser

Häftlingsakten aus Gefängnissen und Zuchthäusern können neben einer Abschrift des Urteils und Beurteilungen der Häftlinge durch die Gefängnisdirektion auch Briefe von Insassen beinhalten, die das Gefängnis aus Zensurgründen einbehalten hat. Erkennungsdienstliche Fotos können ebenfalls vorhanden sein.

Gefängnissen und Zuchthäusern geben ihre Akten im Regelfall an Staatsarchive und Landesarchive ab.

ehemalige Arbeitgeber

In Archiven von Arbeitgebern der verfolgten Person finden sich eventuell noch Personalunterlagen, vielleicht sogar mit Foto. Auch ganz allgemeine Informationen aus dem Archiv der Firma können helfen den Arbeitsalltag der gesuchten Person zu rekonstruieren.

Krankenhäuser

Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen verwahren unter Umständen noch Krankenakten, aus denen Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand sowie auf frühere Behandlungen in anderen Einrichtungen gezogen werden können.

Schulen

Schularchiven bewahren neben Jahrgangslisten manchmal auch Jahrbücher mit Klassenfotos und bebilderten Berichten über Ausflüge, Schulveranstaltungen usw.

Wehrpässe

In der NS-Zeit erhielten alle wehrpflichtigen männlichen Bürger einen Wehrpass, der neben persönlichen Angaben auch ein Passfoto enthielt. Ein ausgefüllter Wehrpass kann Auskunft über die Ergebnisse der Musterung, Dienstzeiten im Reichsarbeitsdienst sowie den aktiven Wehrdienst geben.

Wehrpässen und weitere Unterlagen zu ehemaligen Angehörigen des Heeres, der Marine und der Luftwaffe werden in der Abteilung PA (Personenbezogenen Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg) des Bundesarchivs verwahrt.

4. Nützliche Links

Die unten versammelten Links sind hilfreich bei einer erste Online-Recherche, insbesondere auch um Bestände zu ermitteln und Archive zu kontaktieren.

Allgemeine Übersicht zu Archiven

Archivportal-D
https://www.archivportal-d.de

Das Archivportal-D bietet eine Übersicht aller deutschen Staats- und Kommunalarchive, die auch nach Bundesländern filterbar ist.

Ein relativ junges und noch im Aufbau befindliches Projekt ist das Portal »Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts«, in dem Informationen zu Wiedergutmachungsakten versammelt werden. Eine Filterung nach Themen und Archiven ist möglich.

Archive mit größeren Beständen zur NS-Zeit

Arolsen Archives
https://arolsen-archives.org/

Die Arolsen Archives (früher: International Tracing Service; ITS) sammeln Dokumente zur Inhaftierung in Lagern und anderen Haftstätten sowie zu Zwangsarbeit und Displaced Persons.

Im Online-Archiv werden fortwährend Dokumente digital zur Verfügung gestellt.

Bundesarchiv

https://www.bundesarchiv.de/

In einem Kooperationsprojekt gemeinsam mit dem Bundes­ministerium der Finanzen werden zurzeit Wiedergutmachungsakten digitalisiert und in den Bestand des Bundesarchivs (sowie ins Archivportal-D) übernommen.

Die Abteilung PA (Personenbezogenen Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg) erteilt u. a. Auskünfte über ehemaligen Angehörigen des Heeres, der Marine und der Luftwaffe.

Kirchliche Archive

Archion

https://www.archion.de

Das Portal »Archion« stellt Kirchenbücher aus evangelischen Gemeinden digital zur Verfügung. (Das Angebot ist teilweise kostenpflichtig.)

Genealogie-Datenbanken (Auswahl)

GenWiki

https://wiki.genealogy.net

Im GenWiki des gemeinnützigen Vereins für Computergenealogie stellen Familienforscher/-innen ihre Ergebnisse der Allgemeinheit zur Verfügung.

Über die Suchfunktion kann gezielt nach Orten recherchiert werden. Bei den meisten verzeichneten Orten werden die zuständigen Archive und weitere hilfreiche Quellen aufgelistet.

Die Seite bietet zudem generelles Hintergrundwissen und Hilfestellungen zur genealogischen Forschung. Auch die Liste mit online verfügbaren Adressbüchern (im Aufbau) kann bei der Recherche nützlich sein.

Ancestry

https://www.ancestry.de

Ancestry ist eine kommerzielle genealogische Datenbank, die verschiedene Bestände nach und nach digitalisiert und online anbietet, z. B.:

  • Personenstandsregister

  • Kirchenbücher

  • Register des Standesamts I in Berlin, die im Landesarchiv verwahrt werden

  • historische Adressbücher

  • Dokumente über Auswanderungen